top of page

Unsere Perspektive

Kritik am gegenwärtigen Stand
(Achtung: Reproduktion von Vorurteilen. Es handelt sich um reale Erfahrungen, die wir gesammelt haben)

  • Patient*innen wird ihr Geschlecht und ihre Sexualität von Therapeut*innen abgesprochen

    • "Für mich sind Sie aber ein Mann" (zu einer nicht-binären Person, AMAB)

    • ​„Sie sind gar nicht schwul/lesbisch, sondern hassen Frauen/Männer bzw. Ihre(n) Mutter/Vater“

    • „Er ist nicht bisexuell, er hat Borderline und deshalb eine unklare sexuelle Identität“

    • "Mann/Frausein ist keine Krankheit" als "Argument" gegen Transgeschlechtlichkeit

  • Patient*innen werden wegen ihres Geschlecht oder ihrer Sexualität abgelehnt und abgewertet

    • „Ich (Therapeut*in) arbeite nicht mit trans* Personen / Schwulen …., die sind ... (abwertende Kommentare)“

  • Versorgungsstrukturen sind binär und nach zugewiesenem Geschlecht aufgeteilt

    • ​Frauen-/Männergruppen und Frauen-/Männertoiletten in Kliniken

    • Es gibt so gut wie keine diagnostischen Instrumente, die Diversität berücksichtigen. Zum Beispiel gibt es bei Fragebögen oder Tests keine Normen für inter*, trans* oder nicht-binäre Patient*innen

  • Der absolut größte Teil psycho- (aber z.B. auch paar-)therapeutischer Theorien, Modelle und Interventionen ist (insofern er einen Bezug zu Geschlecht oder Sexualität hat) endo-, cis- und heteronormativ, setzt konservative Geschlechterrollen und -ausdrucksformen als Standard. ​Insbesondere psychodynamische Verfahren (Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Therapie) sind in traditioneller Form sehr normativ und pathologisieren tendenziell bis dezidiert "Abweichungen". Inzwischen gibt es auch in den psychodynamischen Verfahren (queere und feministische) Gegenströmungen. Doch bis heute reproduzieren zahlreiche Fachbücher und Kolleg*innen diese Ansichten und zwingen sie ihren Patient*innen auf.

Unsere Perspektive

Was wir denken

  • Der Begriff des Geschlechts stellt ein sozial geformtes kognitives Konstrukt dar, das Menschen aufgrund bestimmter (vermeintlich) vorhandener und/oder fehlender äußerlicher und/oder Persönlichkeitsmerkmale in verschiedenartige Kategorien unterteilt. Geschlecht ist multidimensional, biopsychosozial, fluide und performativ. 

  • Wir setzen den Begriff Geschlecht mit dem Begriff von Gender gleich, um die unscharfe und kontroverse Trennung zwischen dem sogenannten biologischen Geschlecht und dem sozialen Geschlecht (auch Gender genannt) zu vermeiden. Was ein "biologisches Geschlecht" ist, ist bereits diskursiv und durch Machtverhältnisse festgelegt (z.B. meint es nur Mann und Frau oder auch inter* und wie viele Varianten gibt es?) und die Zuweisung dazu (z.B. aufgrund von Chromosomen, Hormonen, Genitalien) komplex, ambivalent, normiert, willkürlich und in alledem wiederum durch soziale Entscheidungsprozesse bestimmt. Auch die Auffassung davon, welche Hormone oder Körperteile zum Geschlecht oder zur Sexualität gehören, ist prinzipiell willkürlich bestimmt. 

  • Es gibt gute Gründe, im Bereich Geschlecht ein dimensionales statt ein kategoriales (gar dichotomes) Verständnis anzulegen. Bereits bei der Geschlechtsbestimmung bei der Geburt kann man ein dimensionales Verständnis anlegen (vereinfacht z.B. Mädchen - Inter* - Junge). Wenn man die starken hormonellen und körperlichen Veränderungen von Personen über die Lebensspanne betrachtet, ergibt es zusätzlichen Sinn (z.B. vor und nach Pubertät oder Menopause). Von einem Dimorphismus oder gar Dipsychismus zu sprechen (wie Fachliteratur es z.T. bis heute tut), ist eine unsachgemäße Auffassung, ein trennendes Narrativ und eine marginalisierende gesellschaftliche Praxis. 

  • Auch der Begriff Sexualität ist mehrdeutig und unterliegt diskursiven Praktiken. Meint man damit, für wen oder was man genitale Erregung spürt? Oder auch sehnsüchtiges Verlangen? Mit wem man sich eine romantische Beziehung vorstellen kann? Wen man lieben kann? Wen man mag, mit wem man sich solidarisiert oder das Innenleben teilt? Alles valide Perspektiven, unter vielen. Zudem kann sich auch das im Verlauf des Lebens ändern, ausdifferenzieren. Wenn man Sexualität also überhaupt klassifizieren möchte, würde sich auch hier ein fluideres, dimensionales Verständnis als bessere Wahl anbieten als die hetero-/  bi-/ homo- Matrix, die ohnehin - again -binär ausgerichtet ist. 

  • Die geschlechtliche und sexuelle Identität kann nur selbstbestimmt von der jeweiligen Person auf Grundlage ihrer Auffassungen von den Begriffen Geschlecht und Sexualität sowie ihres Erlebens definiert werden. Eine davon abweichende Fremdbestimmung ist eine Verletzung der persönlichen Integrität und kann starkes psychisches Leiden (Dysphorie) verursachen.

Was wir nicht denken

  • Es gibt zwei „natürliche“ binäre Geschlechter.

    • Nein! Zunächst ist jede Kategorisierung ebenso willkürlich wie Definition dessen, was Geschlecht meint. Auch rechtlich haben seit Ende 2018 inter* und trans* Menschen in Deutschland die Möglichkeit, beim Eintrag ins Personenstandsregister auch „divers“ oder "ohne" zu wählen.

    • Der Verweis auf "die Natur" ist so pauschal ein Scheinargument ("Argumentum ad naturam"/ "appeal to nature"). Sobald differenziert wird, was mit Natur gemeint ist, wird es komplexer, mehrdeutiger, diskursiver. Jeder Mensch ist natürlich und durch die Natur hervorgebracht, so wie er*, sie*, they ist.

  • Eine nicht-heterosexuelle Orientierung lässt sich kausal aus Traumata oder einer gescheiterten Entwicklung ableiten

    • Nein! Menschen können so auf die Welt kommen. Und das ist auch gut so. 

  • Dass sich die sexuelle Orientierung ändert, ist Ausdruck von Unsicherheit/ gestörter Identität

    • Nein! ​Man kann das genauso Ausdruck von Genussfähigkeit, Toleranz, Reife und Selbstverwirklichung sehen. Oder man lässt es einfach so stehen. Niemand muss sich dafür rechtfertigen, warum man erst als Erwachsener den Geschmack von Kaffee oder Oliven mochte.

  • Bestimmte geschlechtliche oder sexuelle Identitäten sind besser oder schlechter als andere.

  • Von bestimmten äußerlichen Merkmalen können Rückschlüsse auf die geschlechtliche oder sexuelle Identität gebildet werden (z.B. durch körperliche Merkmale, Kleidung, Rollen, Emotionsausdruck). 

bottom of page